Deutlich präziser als die Norm fordert
Neue Hochpräzisions-Messanlage zur Beurteilung der Ebenheit von GrobblechenIm Grobblechwalzwerk der thyssenkrupp Steel Europe AG in Duisburg-Hüttenheim hat die nokra optische Prüftechnik und Automation GmbH eine hoch präzise Ebenheitsmessanlage in Betrieb genommen. Umfangreiche Untersuchungen belegen, dass das Messsystem deutlich genauer misst, als es die gängigen Richtlinien fordern. Damit ist tkSE der erste Hersteller von Grobblechen, der außergewöhnlich hohe Anforderungen an die Ebenheit erfüllen und messtechnisch nachweisen kann.
Das Grobblech-Walzwerk der thyssenkrupp Steel Europe AG in Duisburg-Hüttenheim stellt Bleche, Druckbehälter, Autokräne, Schiffe und Windkraftanlagen her. Die Breite beträgt bis zu 3.300 mm, die Länge bis zu 16.000 mm, die Dicke liegt zwischen 4 und 150 mm.
Am Ende der Veredelungslinie, die die Premiumprodukte des Werkes produziert, werden die kalt gerichteten Bleche in der Entzunderungs- und Farbspritzanlage (EFA) gestrahlt und in der Regel geprimert.
Für die Premium-Produkte – beispielsweise für Bleche für Kranausleger – sind die Anforderungen an die Ebenheit sehr hoch, denn sie werden beim Kunden gekantet und geschweißt. Da moderne Stähle immer höhere Festigkeiten erreichen und die Anwender daher zunehmend dünnere Bleche verwenden, nimmt die Ebenheit als kundenrelevantes Qualitätsmerkmal eine immer wichtigere Rolle ein. An der EFA konnte sie bisher jedoch nur manuell gemessen werden.
Ambitionierte Ziele
Da dünne Bleche eher zu Unebenheit neigen als dicke, war es das Ziel des Projektes, die Blechtopologie am Auslauf der EFA im Rahmen der Qualitäts-Endkontrolle lückenlos zu erfassen, Rand- und Mittenwellen, Beulen oder „Ski“ zu klassifizieren, sie zu bewerten. Anschließend sollten die Bleche automatisch in „gut“ oder „schlecht“ separiert werden.
Um höchste Anforderungen der Kunden zu erfüllen, plante thyssenkrupp Steel, in eine Prüfanlage zu investieren, die die Anforderungen der gängigen Normen DIN EN 10029 und ASTM A20 für die Bewertung der Ebenheit deutlich übertrifft. Während diese Richtlinien einen Linealspalt von 3 mm/m zulassen, definierte das Projektteam das Ziel, eine Messgenauigkeit von besser als 1 mm/m zu erreichen – ein deutlicher Sprung in Bezug auf den Anspruch von tkSE, Premium-Qualitäten zu liefern.
Außerdem sollten die Länge, die Breite und die Lage der Bleche auf dem Transportsystem erfasst werden, um die Identität jedes Bleches zu prüfen.
Von Beginn an war dem Projektteam klar, dass nur eine optische Messung infrage kam. Die Einbausituation am geplanten Einbauort, die leicht blanke oder geprimerte Oberfläche sowie die Temperatur der Bleche von normalerweise weniger als 70 ° C boten dafür gute Voraussetzungen.
Dahingegen stellten die Anforderungen an die außerordentlich hohe Messgenauigkeit und deren Kontrolle eine erhebliche Herausforderung dar. Ein wesentlicher Bestandteil des Pflichtenheftes war, die Messgenauigkeit im Rahmen einer Messsystemanalyse nachzuweisen: Die Messergebnisse sollen auf nachprüfbare Standards rückführbar sein.
Um sicherzugehen, dass die Messanlage die angestrebte Präzision erreicht, verankerte thyssenkrupp Steel deshalb in der Ausschreibung, dass der Lieferant die Zuverlässigkeit der Ebenheitsmessung gemäß Verfahren 1 und 3 gemeinsam mit thyssenkrupp Steel nachweisen musste.
Erfahrungen mit anderen Ebenheits-Messsystemen im Werk hatten gezeigt, dass eine außergewöhnlich hohe Messgenauigkeit nur erzielt werden kann, wenn während der Messung keine wesentliche Eigenbewegung des Bleches erfolgt.
Deshalb beschloss das Projektteam sehr früh, das vorhandene Blechtransportsystem vor der Installation des Messsystems durch einen neuen Wanderrost mit sehr eng aneinander liegenden Trägern zu ersetzen. Der Erfolg des Projektes hing entscheidend davon ab, die Eigenbewegungen der zu messenden Bleche durch eine geeignete Messumgebung auf ein Minimum zu reduzieren.
Nach einer Ausschreibung, an der mehrere Anbieter teilnahmen, fiel die Kaufentscheidung zugunsten von nokra. Wichtige Aspekte waren dabei die kompakte Bauform der Sensoren und der geringe Platzbedarf der gesamten Anlage sowie die hohe Bedienerfreundlichkeit. Außerdem gestaltet sich der Einrichtbetrieb sehr einfach, da nokra die Sensoren generell bereits vor der Auslieferung kalibriert.
Die Lösung
Nach der erfolgreichen Vorabnahme lieferte nokra ein System der Serie alpha.fi, die sich in mehreren anderen Grobblechwalzwerken mit den üblichen Anforderungen an die Messgenauigkeit bewährt hat. Es besteht im Wesentlichen aus einer statischen Messbrücke mit Laser-Lichtschnitt-Sensoren.
Die von nokra für das Lichtschnittverfahren entwickelten Sensoren projizieren Laserlinien auf die Oberfläche des Messgutes. Während das Blech unter dem Messbalken durchfährt, erfassen die unter einem Winkel angebrachten Kameras der Sensoren jeweils „ihre“ Linie. Die Höheninformation, aus der die Ebenheit errechnet wird, ergibt sich aus dem Winkel, unter dem die Kameras die Linien auf dem Blech „sehen“. Den Messbereich der Sensoren hat nokra so ausgelegt, dass die geforderte Messmittelfähigkeit bei einer Toleranz von 1 mm/m erreicht wird.
Durch den engen Wellenlängenbereich der Laser sowie den Einsatz von Interferenzfiltern auf der Empfängerseite ist sichergestellt, dass das Messergebnis nicht durch Fremdlicht beeinträchtigt wird. Die Anlage ist mit Laserklasse 1 klassifiziert und von einem öffentlich bestellten und vereidigten Laserschutz-Gutachter in Bezug auf die Lasersicherheit abgenommen. Der Aufenthalt während des Betriebes in unmittelbarer Nähe außerhalb des Schutzzauns der Anlage ist möglich.
Die alpha.VR Lichtschnittsensoren der neuen Generation nehmen synchron zur Profilmessung auch Fotos der Blechoberfläche auf. Damit ist es zum Beispiel möglich, Fehlstellen im Lackauftrag zu erkennen.
Die Verkleidung des Messbalkens schützt die gesamte Anlage vor Tropfwasser, Staub und Schmutz. Die Ständer der Anlage sind im unteren Bereich trennbar, sodass die Messbrücke mit einer Krantraverse abgenommen und neben der Linie abgestellt werden kann.
Die vollautomatisch arbeitende Anlage ist in das Fertigungsleitsystem des Werkes in Duisburg-Süd integriert. Sie empfängt die Kenndaten der Bleche und die Vorgaben für die Ebenheit vom übergeordneten Fertigungsleitsystem. Nach Beendigung der Messung gibt sie das Messprotokoll und die Bewertung „gut/schlecht“ dorthin zurück.
Das Messprotokoll für die detaillierte Auswertung, das an das Fertigungsleitsystem übermittelt wird, beinhaltet unter anderem die Blechtopographie, die in einer Falschfarbendarstellung als räumliche 3D-Ansicht und als einfache Draufsicht dargestellt wird.
Damit Inspektionsergebnisse zu Einzelblechen oder Kampagnen im Nachhinein abgerufen und für die Optimierung von Prozessen miteinander verglichen werden können, verfügt die Anlage über ein Datenbanksystem.
Die Steuerung der Messanlage und die Auswertung der Messdaten übernimmt ein Industrie-PC im Schaltschrank. Die Bedienung während Service- und Wartungsarbeiten erfolgt ebenfalls mit diesem PC.
Für eine nahtlose und präzise Ebenheitsmessung ist es erforderlich, dass alle Sensoren auf dasselbe Koordinatensystem Bezug nehmen. Diese Referenzierung, auch Justierung genannt, erfolgt mit einem motorisch bewegten Justierkörper, der automatisch unter allen Sensoren entlanggefahren werden kann, wenn kein Blech auf dem Wanderrost liegt.
Der Austausch eines Sensors, der aus Projektor und Kamera besteht, ist durch Instandhaltungspersonal innerhalb von 30 Minuten möglich. Nach Austausch einer Komponente und erneuter Justierung ist die Messmittelfähigkeit sofort wieder gegeben.
Die Ergebnisse
Nach der Fertigstellung des neuen Transportsystems hat nokra die Messanlage innerhalb weniger Tage montiert und in Betrieb genommen. Sie ist seit dem Jahresanfang 2020 betriebsbereit und arbeitet seit den Bedienerschulungen im Februar 2020 zuverlässig.
Wegen der hohen Anforderungen an die Messgenauigkeit hat das Projektteam von thyssenkrupp Steel die Anlage nach der Inbetriebnahme umfassend geprüft. Der Nachweis der Messmittelfähigkeit war dabei der wichtigste Aspekt.
Im Fokus standen zum einen die Streubreite der Messwerte, die gemäß Verfahren 1 und 3, durch den Cg-Wert wiedergegeben wird, zum anderen der Cgk-Wert, der die Abweichung der Messwerte von den wahren Werten (dem Referenzwert) darstellt. Ein Messsystem wird üblicherweise als gut angesehen, wenn beide Werte größer als 1,33 sind.
Der Cg-Wert für die Wiederholpräzision wurde durch Wiederholungsmessungen an unterschiedlichen Blechen aus der Produktion vergleichsweise einfach ermittelt. Für den Cgk-Wert gestaltete sich die Ermittlung jedoch sehr viel schwieriger, denn dafür ist ein Normal erforderlich, dessen Abmessungen exakt bekannt sind. In diesem Fall wäre das ein Blech, das vorher mit hoher Genauigkeit vermessen wurde. In einem Grobblechwalzwerk ist es jedoch nicht praktikabel, ein derartiges Blech vorzuhalten. Selbst wenn eines vorhanden wäre, würde es sich beim Transport mit einem Kran und dem Auflegen auf den Wanderrost mit hoher Wahrscheinlichkeit doch wieder verformen.
So entstand die Idee, einen Profilmessbalken mit einem taktilen Taster zu bauen, der auf einer Länge von 1.500 mm ein Höhenprofil eines beliebigen verfügbaren Bleches mit hoher Präzision aufzeichnet. Wird der Balken an der Stelle auf das Blech aufgesetzt, an der anschließend das optische System misst, stellt das Höhenprofil des Tasters den „wahren“ Wert dar, der mit einer Messungenauigkeit von ca. 10 µm die Grundlage für den Vergleich der Messergebnisse mit diesem Normal bildet.
Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Eigenschaften des Normals von einer höheren Instanz – ähnlich dem Urmeter für die Längenmessung – nachgewiesen werden. Deshalb wurde der Profilmessbalken im werkseigenen Kalibrierlabor auf einem Granitstein überprüft und seine Messunsicherheit bestimmt. Nach Kenntnis der Verfasser wurde noch nie ein Ebenheitsmesssystem einer derart rigiden Überprüfung unterzogen .... eine große Herausforderung, der nokra sich gerne gestellt hat.
Das Ergebnis der Überprüfung war sehr positiv: Mit Bezug auf das Toleranzfeld T = 1 mm wurden die Mindestanforderungen für die Cg- und Cgk-Werte teils deutlich übertroffen.
Das Fazit
Alle Projektziele sind erreicht: Mit dem neuen System übertrifft thyssenkrupp Steel die Anforderungen der gängigen internationalen Normen. Im Vergleich mit dem Standard, der einen Linealspalt von 3 mm erlaubt, erzielt es eine um den Faktor 3 höhere Messgenauigkeit.
Bewährt hat sich auch die Messung von Länge und Breite, die bei der Auswertung der Sensordaten anfällt. Mit ihr wird die Identität jedes Bleches geprüft und vermieden, dass Daten falsch zugeordnet werden.
Insbesondere der intensive Austausch zwischen thyssenkrupp Steel, nokra und dem Lieferanten des Blechtransportsystems während der Planungs- und Aufbauphase hat entscheidend zum Erfolg des Projektes beigetragen.
Mit der Kombination aus einer hochpräzisen Online-Ebenheitsmessung und einer Online-Inspektionsanlage zählt die EFA heute zu den ersten Veredelungslinien für Premium-Grobbleche weltweit, an der sowohl die Ebenheit als auch die Qualität der Oberfläche jedes einzelnen Bleches vollflächig und lückenlos erfasst, bewertet und dokumentiert werden.
Für die Zukunft ist vorstellbar, die mit den Kameras der Sensoren synchron zur Messung aufgenommenen Bilder der Blechoberfläche zu verwenden, um eine nachträgliche Beurteilung zu ermöglichen.
Da die Anlage die aktuellen Anforderungen der beiden Standards, nach denen die Ebenheit für den amerikanischen und den europäischen Markt bewertet wird, schon jetzt deutlich übertrifft, ist thyssenkrupp Steel auch für zukünftige Anforderungen optimal vorbereitet.